Bericht von Bernhard Gasser Februar 2024
Bericht von Bernhard Gasser Februar 2024
Bericht von Bernhard Gasser (FA für Orthopädie und Traumatologie, KH Eisenstadt).
Ich habe 2018 für knapp 3 Monate in der Notaufnahme eines Township-Krankenhauses in Kapstadt gearbeitet. Seither wusste ich, ich will wieder in einer Umgebung arbeiten, die mit einem Krankenhaus in Mitteleuropa nicht vergleichbar it. Weniger Ressourcen, weniger Technologie. Mehr direkte Diagnostik mit den eigenen Sinnen, mehr Therapie mit einfachen Mitteln. Erfahrungen, an denen man wächst. Nachdem mich eine gute Freundin (danke Julia Harl) auf Cosmas aufmerksam gemacht hatte, war es nun wieder soweit.
In der 2. Februar-Hälfte durfte ich mit dem Team um Dr. Murtala Queita im Hospital Agostinho Neto in Praia, Kap Verde zusammenarbeiten. Die erfolgreiche Zusammenarbeit von Cosmas mit dem Krankenhaus in Praia hat bereits eine Geschichte von über 20 Jahren. Die Freude, mich hierbei einbringen zu können, war von Beginn an ein groß. Umso mehr, als ich erfahren habe, dass ich zur Lösung eines konkreten Problems beitragen kann: viele Personen leiden hier an einer Schulterinstabilität, die zum plötzlichen Verrenken der Schulter führt (z.B. beim Werfen eines Balles oder Anziehen eines T-Shirts). Hierfür wird eine Operation benötigt, die bisher nicht im Repertoire des kapverdischen Gesundheitssystems war. Eine Operation, die ich beherrsche. Mein Ziel war nun, die Operationstechnik nach Latarjet zur Stabilisierung der Schulter, vorzustellen, Hintergründe zu erklären und gemeinsam diese Operation durchzuführen. In weiterer Folge soll diese OP natürlich selbstständig vom Team vor Ort durchgeführt werden. Dieser Gedanken wurde gerne aufgegriffen und ab diesem Gespräch mit Dr. Queita haben die Vorbereitungen, soweit über Telefon und Mail möglich, begonnen. Vor meiner Anreise waren einige Patienten identifiziert, die die Operation benötigen. Das Vorhaben schien unter einem guten Stern zu stehen und meine Euphorie stieg. Am Abend des 14.2. hat uns (meine Freundin hat mich auf dieser Reise begleitet) Dr. Queita herzlich begrüßt, vom Flughafen abgeholt und uns ins Appartement gebracht. Smalltalk und fachliche Themen haben sich bei der Autofahrt abgewechselt. Auch wenn es nur 15 Minuten waren, war es eine interessante Phase des Kennenlernens.
Nach einem Treffen in Wien vor Monaten und Kontakt über Mail und Telefon stand nun eine intensive Zusammenarbeit bevor. 2 Wochen, in denen wir voneinander lernen werden: Ich wie komplexe Frakturen mit einfachen Mitteln und Improvisation behandelt werden und er, wie „der Latarjet“ funktioniert. Ich spürte Nervosität und Selbstvertrauen gleichermaßen. Der erste Tag im Krankenhaus war die nächste Phase des Kennenlernens. Dr. Queita hat mir die Abteilung und die Kollegen vorgestellt. Es war ein freundlicher Empfang und nach der Morgenbesprechung widmeten wir uns dem Thema Latarjet. Mir wurden die CT-Bilder eines betroffenen Patienten gezeigt, wobei ich den ersten Rückschlag vernahm. Die Probleme des Patienten würden -wenn überhaupt – nur teilweise gelöst werden. Anhaltende Schmerzen und Bewegungseinschränkung der Schulter wären in diesem Fall auch nach der Latarjet-Operation zu erwarten. Diese Operation hätte der Patient vor 10-15 Jahren gebraucht, nun war es zu spät, die Abnützung des Gelenkes war zu weit fortgeschritten. Für eine vernünftige Funktion des Armes braucht dieser Patient eine Schulterprothese. Etwas, das hier in weiter Zukunft liegt. Als ich nun nach meiner Meinung gefragt wurde, habe ich fachlich die Situation beschrieben und erklärt, mit welchem Ergebnis zu rechnen ist, wenn wir hier diese OP durchführen. So emotionslos, wie ich versucht habe, die Situation zu schildern, so emotionslos war die Reaktion von Mario, dem Kollegen, der den Patienten betreut. Beim Gespräch mit dem Patienten war ich anwesend, aufgrund des dort gesprochenen Kreols verstand ich nur die Körpersprache. In einem kurzen Gespräch mit wenig Emotionen wurde dem Patienten erklärt, dass er für die Operation nicht in Frage kommt. Der Patient, ca 50 Jahre alt, der sein restliches Leben mit einer schmerzhaften, instabilen und bewegungseingeschränkten Schulter leben wird, ist ohne weitere Fragen gegangen. Die Ärzte hier wissen, dass sie hier nicht den Luxus eines mitteleuropäischen Gesundheitssystems haben und haben sich offensichtlich gelernt, damit umzugehen.
Trotz der fehlenden Hilfe für diesen Patienten, war dieser Fall wichtig für das „Projekt Latarjet“: Um eine Operation zu beherrschen, muss man deren Grenzen kennen und auch wissen, welche Patienten nicht operiert werden sollen. Danach durfte ich den OP-Bereich kennen lernen. Hier springen einfache Ausstattung und fehlende Wartung ins Auge. Die OP-Materialien sind simpel, für österreichische Verhältnisse unvollständig. Was bleibt, um dies zu kompensieren, sind die Fähigkeiten des Personals. Was mir Dr. Queita in der ersten Operation zeigt, sind effiziente Verwendung der vorhandenen Ressourcen, chirurgisches Geschick und schnelle, aber nicht voreilige, intraoperative Entscheidungen. An diesem Tag sehe ich auch die Anwendung von Implantaten, die vor meinem Ausbildungsbeginn zuletzt in Österreich verwendet wurden. Bereits jetzt mache ich Erfahrungen, die ich in Österreich niemals gemacht habe und voraussichtlich niemals machen werde. Ich kenne nun die erschwerten Umständen unter denen hier gearbeitet wird. Beeinflusst das mein Gefühl, eine Operation durchzuführen, die hier neu ist? Jein. Ich wusste zuvor, worauf ich mich einlasse, aber jetzt wird es ernst. Nicht alle Schritte des Latarjets kann ich so durchführen, wie ich es gewohnt bin. Improvisation ist auch hier erforderlich, aber ich bin zuversichtlich, dass alles gut gehen wird. Wenn die weiteren geplanten Patienten geeignet sind. Und ja, es zeigt sich, dass sie ideale Patienten für die OP sind. So kam es, dass am 21.02.2024 zum ersten Mal in Praia, Kap Verde die Schulterstabilisierungsoperation in der Technik nach Latarjet durchgeführt wurde. Neben dem Erfolg, Menschen vor dem Schicksal des ersten Patienten zu bewahren, war es auch auf einer anderen Ebene eine Freude, diese Operation durchzuführen. Mein Co-Operateur und ich kannten uns weder persönlich gut noch hatten wir zuvor zusammengearbeitet. Wir haben ein Verfahren angewandt, das in diesem Krankenhaus noch nie durchgeführt wurde und das 50% von uns nur aus der Theorie kennen. Trotzdem waren das keine relevanten Hindernisse.
Das Prinzip von Operationen ist weltweit gleich. Wir beide sind ausgebildete Chirurgen und kannten das Problem als auch die Lösung. Somit waren nur wenige Worte notwendig, als wir mit gemeinsamem Verständnis für unsere Arbeit die bisherigen Grenzen der medizinischen Versorgung hinter uns gelassen haben. Den zweiten Eingriff dieser Art haben wir 2 Tage später durchgeführt. In diesen 2 Wochen habe ich somit bereichernde Erfahrungen für mich mitnehmen können und auch Wissen weitergeben können.
Neben diesem fachlichen Erfolg waren die 2 Wochen geprägt von guter Zusammenarbeit und freundschaftlichen Abendessen. Hervorragende Voraussetzungen für eine längerfristige Zusammenarbeit, auf die ich mich sehr freue.